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15. April 2020

Schriftsteller und Zeitungsmann

Quelle: www.ap22.ru

Für zahlreiche Russlanddeutsche in und aus der Altairegion/Sibirien ist sein Name ein Begriff . Er steht für die Entwicklung der deutschsprachigen Presse und des deutschsprachigen Rundfunks in der Nachkriegszeit in der Altairegion. Mit seiner langjährigen Erfahrung als Zeitungsmann und der Kenntnis, was der deutschen Bevölkerung unter den Nägeln brennt, konnte Johann Schellenberg maßgebend zur Wiederbelebung der deutschen Muttersprache in den deutschen Dörfern der KulundaSteppe beitragen.

Er wurde am 27. Februar 1920 in Grünfeld (später Tschertjosch) bei Orlowo in der Altairegion geboren. Seine Vorfahren übersiedelten 1908 aus dem Schwarzmeergebiet nach Sibirien und gründeten das Dorf Grünfeld in der Kulunda-Steppe. In Engels an der Wolga beendete Schellenberg die 8. Klasse in der Musterschule Nr. 10. In Slawgorod absolvierte Schellenberg 1937 das deutsche Pädtechnikum und arbeitete danach als Schullehrer. 1938 wurden alle nationalen Schulen liquidiert, die Umstellung war sowohl für Lehrer als auch für Schüler ein Alptraum. Die meisten deutschen Lehrer wurden verhaftet. 

Die Jahre 1942–1949 verbrachte Schellenberg in der Arbeitsarmee im Nordural. Seit 1957 gestaltete er die deutschsprachige Zeitung „Rote Fahne“ mit, in den Jahren 1960–1975 war er Chefredakteur der Zeitung. „Außer dem Chefredakteur Johann Schellenberg, einem in den von oben abgesteckten Grenzen umgänglichen, einsichtigen Mann, frönte das gesamte Team, sechs Mann hoch, dem kreativen Wort“, steht zu Schellenberg in der „Geschichte der russlanddeutschen Literatur“ von Johann Warkentin. Mit ihm an der Spitze kämpfte das Team oft am Rande des Möglichen für die Wiedergeburt und Erhaltung der deutschen Sprache und der Selbstachtung der Deutschen in der Altairegion. Nicht einmal nur wurde er des „Nationalismus“ bezichtigt. 

1964 wurde in der Redaktion die Frage der Wiederherstellung der deutschen nationalen Autonomie diskutiert. Die Redaktion sammelte Briefe und Unterschriften – mit dem Ergebnis, dass die Redaktion als „Nest des Nationalismus“ abgestempelt, der Chefredakteur und die Mitarbeiter unter Druck gesetzt wurden. „Der Parteiobrigkeit in Barnaul und Slawgorod konnten wir nichts recht machen. Immer hatte man etwas zu beschnüff eln, zu beanstanden, um die Redaktion und den Redakteur in die Zange zu nehmen. Nach dem Besuch von Dominik Hollmann und Alexander Henning 1965 in der Redaktion und einer Autorenlesung in Podsosnowo musste ich mich im Rayonsparteikomitee verantworten, ob ich die Schriftsteller eingeladen hätte, um für die Wiederherstellung der deutschen Wolgarepublik zu agitieren“, erinnerte sich Schellenberg später. Im März 1975 wurde Schellenberg wegen „nationalistischer Bestrebungen“ entlassen. 

Danach war er acht Jahre Redakteur des deutschen Rundfunks in Barnaul und gleichzeitig Sonderkorrespondent der „Zeitung für Dich“ (Nachfolgerin der „Roten Fahne“) sowie Referent im Deutsch-Russischen Haus Barnaul. Der engagierte Heimatforscher verfasste auch ein Buch zur Geschichte des Dorfes Orlowo im Deutschen nationalen Rayon Halbstadt. Auch als Redakteur des deutschen Rundfunks machte sich Schellenberg einen Namen. Die deutsche Sendung hieß „Altaier Weiten“ und begann stets mit der Melodie des Volksliedes „Im schönsten Wiesengrunde“. Jede Sendung wurde mit Musik und Liedern aufgemischt. Sehr beliebt waren Wunschkonzerte, die aufgrund der Hörerbriefe gestaltet wurden. Für die Radiohörer, besonders für die älteren Deutschen, die bis 1938 noch deutsche Schulen besucht hatten, war die Möglichkeit nach dem langen Schweigen wieder die deutsche Sprache und Lieder zu hören wie eine Rückkehr in die Jugend. 

Mit der Wende der 80-er Jahre durfte auch der Themenkreis der deutschen Sendungen mit Fragen zur Geschichte der Russlanddeutschen, der Deportation, Sondersiedlung und Arbeitsarmee erweitert werden, die bis dahin Tabu waren. Die Hörerpost vergrößerte sich zusehends: Die Russlanddeutschen verlangten, die Sendungen öfter und länger auszustrahlen. Aber die Behörden hatten kein off enes Ohr dafür. Schellenberg wurde erneut vorgeworfen, dass die „Sendungen das nationale Bewusstsein der Deutschen erwecken“. „Damit traf man ausnahmsweise den Nagel auf den Kopf, denn das war eigentlich mein Ziel. Wir gingen oft an den Rand des Möglichen, um die Belange der Russlanddeutschen in den Vordergrund zu stellen. Von den Parteibehörden wurde das zwar nicht begrüßt, jedoch bis zu gewissem Grade geduldet. Diese Tatsache bemühten wir uns geschickt zu nutzen“, so Schellenberg in seinen Erinnerungen. 

Seit 2001 lebte Johann Schellenberg in Deutschland in Bochum. Auch hier hatte er sich nicht verloren, er stand nach wie vor mittendrin im Leben. Sofort nahm er Kontakt mit der Landsmannschaft auf und wurde ein aktives Mitglied der Ortsgruppe. Der rastlose Zeitungsmann beteiligte sich engagiert an Integrationsveranstaltungen, reiste viel, lernte neue Menschen kennen, frischte alte Kontakte auf und ließ seine Feder nicht rosten. Am 31. Mai 2015 starb Johann Schellenberg im Alter von 95 Jahren und fand in Bochum, Deutschland, seine letzte Ruhestätte.

Dieser Artikel von Erna Berg erschien zuerst in der deutschsprachigen „Zeitung für Dich“

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